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Ästhetik des Widerstands | Peter Brötzmann und Oliver Steidle im domicil

Dortmund, 16.01.2015 | „Wann kommt das Einheitsfrontlied?“ fragte ein Zuschauer in die Menge hinein. Peter Brötzmann zögert einen Moment – seine ruhige Sprache steht a immer in einem Kontrast zur la ungestümen Power im Spiel des mittlerweile73jährigen Saxofon-Spielers aus Wuppertal. „Das sollte man wirklich mal wieder spielen. Aber ich muss es erstmal wieder üben“. Bescheidenheit in den Worten eines Künstlers, der sich auf unprätentiöse Redlichkeit versteht – und der Eisslers Kampflied nach einem Text von Bertold Brecht gegen den Faschismus im Jahr 1974 neu intonierte.

Es gibt kein Show-Brimborium wenn Brötzmann auf der Bühne steht. Dieser Mann mit seinem Horn (bzw. Sopran- und Tenorsaxofone in verschiedenen Ausführungen) und der eine ganze Generation jüngere Schlagzeuger Oliver Steidle agieren im domicil-Saal nicht auf der Bühne sondern vor derselben – um dem Publikum im domicil-Saal noch näher zu sein. Freejazz braucht die unmittelbare Wirkung.

Und so sehr sich auch Steidle am Drumset die Seele aus dem Leob trommelt, dicht und manchmal erdrückend aus Brötzmanns Saxofonen sind – deren diffiziler Klangkosmos lässt sich keineswegs eindimensional jene Provokation reduzieren, mit der Brötzmann 1968 auf dem legendären „Machine Gun“- Album eine een Ästhetik des Widerstands proklamierte.

Plausibel ist sowas heute denn je: Wenn diese siedende Urgewalt hervorbricht, wenn mit so verzweifelter Energie der Schrei als solcher alle Behaglichkeit durchschneidet, da darf, ja muss man assoziieren: Hier schwingt das Echo einer Welt zurück, die heute mehr denn je aus den Fugen geraten ist.

Aber es geht auch eine puristischere, rein auf die Musik an sich bezogene Lesart – und die funktioniert umso ergiebiger, je mehr man sich ins akustische Geschehen hineinversenkt, je konzentrierter das Zuhören wird. Es ist ein magischer Sound, der auch gut hypnotisiert, wenn erstmal die allererste Paralyiertheit überwunden ist.

Brötzmanns extrem versierte Spieltechnik arbeitet mit dem Klang als Material. Sie lässt Schattierungen aufblitzen, lässt ein fast schon elektrisch pulsierendes Vibrato erbeben, erzeugt verstörende Kaleidoskope aus Glissandi und Mikrointervallen. Atemzüge, die wie siedende Stöße wirken, aber es sind auch lyrische Mikrostrukturen allgegenwärtig – repetierte Tonfolgen, die Brötzmann in seinem Spiel verdichtet oder auch verbiegt.

Steidle auf dem Drumset ist an all dem extrem dicht dran. lässt die Stakkatos krachen, wie ein Rockschlagzeuger beim Solo bezieht er ausgiebig die Tomtoms mit ein, das es dunkel poltert, prasselt, wummert – dabei ist trotz aller Raserei alles im gegenseitigen Diaolog höchst sensibel abgelauscht.

Phasenweise wird ein melodisches Motiv frei, manchmal fast mit einem latenten Bluesfeeling. Der Nährboden für Brötzmanns auch in heutigen Tagen noch extrem wirkendes Spiel ist sehr weitläufig. Und zusammen mit seinem hellhörigen Partner zelebrieren die beiden den den Moment. Immer auf Augenhöhe.

Stefan Pieper; http://www.nrwjazz.net/reviews/2015/Peter_Broetzmann_und_Oliver_Steidle_im_domicil_/

…ein brillianter musikalischer Freigeist.
OVB online

… einer der herausragenden Schlagzeuger der Avantgarde-Jazz-Szene.
Anja Barckhausen (Nürnberger Nachrichten)

Man kennt die Viererbande dieses Sonderkommandos aus der Bundeshauptstadt als Musiker des totalen Einsatzes, allesamt prominente Verdächtige der Radikalimprovisatoren-Szene.

In dieser Formation genießt Oliver Steidle Kommandantenfreiheit und treibt seine Band in ein gnadenloses Improvisieren. Bei der Geschwindigkeit der musikalischen Entscheidungen bleibt dem Zuhörer die Spucke weg !

Dieses Sonderkommando ist eine Band außerordentlichen Potenzials und ihr Kommandante ein Musiker, der das Zeug zu Strukturen entwickelnder, Spannungsbögen generierender Gestaltung hat, wie sein großartiger Solotrack am Ende des Albums beweist.

Thomas Fitterling (Rondo Magazin)

Ein gänzlich eigenwilliger und zeitloser Sound zeichnet die SoKo Steidle aus. Drummer und Namensgeber des Quartetts, Oliver Steidle, der sein Können bereits unter anderem auf den Bühnen des North Sea Festivals, des Montreaux Festivals und des Jazzfestivals Hong Kong erfolgreich unter Beweis stellte, lässt sämtliche Konventionen des Jazz hinter sich und legt den Fokus fast vollständig auf die Improvisation im Kollektiv ausgezeichneter Mitmusiker.

Diese Viererbesetzung lebt von der Spontanität und Freiheit im Spiel und schafft dabei enorm vielseitige und stimmungsvolle Klangkreationen, die von rivalisierender Konkurrenz bis hin zu harmonischem Spiel reichen. Steidle selbst wurde mit einer Vielzahl von Preisen ausgezeichnet, darunter den Publikumspreis als bester Solist 2008 beim Neuen Deutschen Jazzpreis Mannheim.

Nicht zuletzt Rudi Mahall, mit dem Steidle ja auch in dem Trio „Der Rote Bereich“ spielt, welches in seiner Art seit Mitte der 90er Jahre als Stil prägend für eine Vielzahl zeitgenössischer Berliner Bands gelten kann, verkörpert den „Berlin Sound of Jazz“. An dessen aktueller Weiterentwicklung haben nach wie vor die beiden Nürnberger Mahall und Steidle, als Mitglieder unzähliger Formationen einen erheblichen Anteil.

Peter Schulze (Jazzahead Bremen)

Oliver Steidle ist mein Mann ! Nicht allein weil der Nürnberger Drummer – wenn auch vom Hauptstadtfieber angesteckt – mit „Klima Kalima“ spielt, mit Rudi Mahall in „SoKo Steidle“ und „Der Rote Bereich“, mit Axl Dörner in „Das Treffen“, mit Olaf Rupp als „Die dicken Finger“, mit Aki Takase im „Tama Trio“, er rattert dazu mit Antonis Anesegos als „ddAa“ durch eine Stalker Zone, vor der selbst Japan Noiser erstmal ihr Kamikazestirnband fester schnüren würden.

Rigobert Dittman (Bad Alchemy)

Oliver Steidle, als kongenialer Schlagwerker für eine Vielzahl anerkannter Musiker, hat einen bewundernswert eigenständigen Stil entwickelt, trommelt, haucht und bedient sein Instrument so grandios, als wäre es das einfachste der Welt !

Thomas Milz (The Wire)

„This music makes my hair stand on end – but it’s so damned good! Who’s this ? Eric Dolphy and Ornette? But hey wait ! Who’s that drummer ? This ain’t the sixties, no? Turn it up !

Soweit der Blindfoldtest eines mir bekannten Fachmanns für Ab-und Jenseitigkeiten aller Art, der an dieser Stelle lieber ungenannt bleiben möchte (vermutlich, weil er -zu Recht- annimmt, dass ich die folgende Orgie ekstatischer Zuckungen in epischer Breite einem breiteren Publikum vorlegen könnte).

Gleichwie, die Platte trägt den sympatischen Titel „Reinkommen und Alles rausholen“, das Titelstück ist „Hasenheide“ und die ist bekanntlich in Berlin. Die Band des jungen Herren, dessen Trommelei meinem Gegenüber ein seliges Lächeln ins Gesicht zaubert, gehört eindeutig in die Kategorie „Gab’s 1960 leider noch nicht“. Aber dem Herrn sei’s getrommelt, es gibt ihn ja jetzt. Oliver Steidle heisst er und ja „he kicks ass“! Verfügt nicht nur über die „Secret wheapons for the modern drummer“, die, ein in ganz Europa angesagter drummer heutzutage so drauf haben muss, sondern hat auch den echten Spirit (der ja bekanntlich lange Zeit Mangelware war).

Und ein fulminantes Gespann an Mitmusikern, bei dem zu allererst zu sagen ist, dass man so falsch nicht liegt, wenn man Rudi Mahall im Eifer des Gefechts mit Eric Dolphy verwechselt. Nicht der einzige der Vier freilich, der sich (spätestens) mit dieser Platte einen Platz im Jazzhimmel erspielt hat. Denn was sie da treiben ist so erfrischend und ansteckend, dass man schier vergessen könnte, dass Free Jazz bald 50 Jahre alt ist. Hätten sie gedacht, dass das einen derartigen Spass bereitet ?

Lars Manzeschke

In 17 Stücken, zwischen wenigen Sekunden bis zu knapp acht Minuten, feiert dieses Quartett, den unwiderrufbaren Moment des Augenblicks. Langwierige Entwicklungsprozesse sind bei diesen entschiedenen Vorgaben nur schwer möglich. Die Band muss fast in Eile den Akt des musikalischen Abtastens und klanglichen Erforschens vollziehen. Dieser ökonomische Umgang mit dem Faktor Zeit bedeutet eine enorme Herausforderung. Oliver Steidle, Rudi Mahall, Henrik Walsdorff und Jan Roder sind gezwungen, ihre Ideen zu verdichten, sich auf wesentliche Aspekte ihrer Aussagen zu beschränken, ihre Aufnahmefähigkeiten gegenüber Intensionen von aussen angemessen und schnellstmöglich zu verarbeiten. So entsteht ein pulsierender Wechsel von Stimmungen und Strategien. Mal aggressiv rivalisierend, mal in harmonisch strukturierter Schlichtheit und dann wieder, als das Ergebnis des Zusammenführens individueller Klangkünstler, enorm kämpferisch und Stellung beziehend. Ein absolut zeitloses Werk.

Jörg Konrad (Jazzthethik)

Apropos Schlagzeug in Berlin. Zu den trommelnden Epizentren der Stadt gehört Oliver Steidle. Der hat nicht nur mit „Der Rote Bereich“ und seiner eigenen Band „SoKo Steidle“ neue Alben am Start, sondern er spielt auch bei „Klima Kalima“, im John Schröder Quartett, bei „Steidle/Erdmann = Lenina“, in Aki Takase’s Tama Trio, in Phillip Groppers Band Philm und zahlreichen anderen Formationen mit. An Steidle führt im Berliner Jazz kein Weg mehr vorbei. Längst hat er sich, nicht zuletzt durch unzählige Gastspiele im Ausland mit Musikern wie Ernst Reijseger, Louis Sclavis u.a. einen Namen in der europäischen Jazzlandschaft erspielt. In all diesen verschiedenen Projekten entlockt er sich die unterschiedlichsten Facetten von Hardcore bis freier Improvisation und er würde wohl auch vor einer Bluesrock Band nicht zurückschrecken, wenn sie ihm denn genug Spielraum gäbe.

In guter Erinnerung ist noch der Auftritt der SoKo Steidle auf der Jazzahead! in Bremen. Eine Band, die völlig frei improvisiert, und hinter ihr ein Drummer, der mit Feingefühl und Ökonomie alle Fäden in der Hand hält. Steidle ist nicht nur ein grandioser Musikant, er ist auch ein gewitzter Psychologe, der intuitiv erkennt, was welcher Musiker braucht. „Mir geht es immer um die Kombination von Sound und Energie. Spielte ich im Roten Bereich mit der gleichen Power wie in SoKo, würde ich die Musik zerstören. Ich muss mich mit meiner Energie stets auf den jeweiligen Sound einstellen. Sicher will ich manchmal auch ausbrechen, aber das täte der Musik nicht gut“. So frei Steidle in der Wahl seiner Ausdrucksmittel ist, so bewusst geht er mit dieser Freiheit um. Er lässt sich von seiner Intuition leiten, verlässt sich aber nicht auf sie:“ Ich glaube an den Zufall, behalte aber trotzdem gern einen Rest Kontrolle. Im Lauf der Jahre habe ich gelernt Überflüssiges wegzulassen und so zu einer Klarheit der Darstellung zu finden. Es ist schwer komplexe Musik zu schreiben. Aber einfache Musik mit einer starken Aussage zu schreiben, ist noch viel schwieriger. Danach suche ich in meiner Musik ständig.

Wolf Kampmann (Jazzthetik)

Der diesjährige neue deutsche Jazzpreis geht verdientermaßen nach Berlin, ebenso wie der Solistenpreis an den Tausendsassa Oliver Steidle.

Stefan Hentz (Die Zeit)

Steidle ist einer, der in seinem Spiel das Naturbelassene liebt, eine Bewegung die nah am Boden bleibt, beim Kern der Dinge, den er fintenreich umspielt, ohne seine treibende Funktion aus dem Auge zu verlieren, die den Fluss am Laufen hält. Ein Schlagzeuger, der sich vom Rhythmusknecht zum vollständig Emanzipierten, „uniquen“ Musiker entwickelt hat.

Ulrich Steinmetzger (Jazzpodium)

Steidle ist ein As, was dynamisch-rhythmische Flexibilität angeht. Sehr differenziert, aber für alles zu haben.

Tom Gsteiger (Züricher Tagblatt)

Oliver Steidle negotiates a fine line among influences. He has worked with players as disparate as saxophonist manipulator Daniel Erdmann and tradition oriented pianist Aki Takase. He’s on his unique way ! One of the most inventive young players, who has much to offer.

Ken Waxman (Jazzword)

Drummer Oliver Bernd Steidl is essentialy the leader, his perhaps calculated stiff rhythmic sense ensuring that the music sometimes has a martial air, albeit one derived more from musical comedy than anything else.

Nic Jones (All about Jazz)

Man hört immer von kongenialen Partnern in solchen Besetzungen (Tama Trio: Aki Takase, Jan Roder, Oliver Steidle/ CD: Rolled Up), gemeint ist meistens, dass da einer spielt und die anderen machen was, dass das Ganze gut klingt. Das ist hier nicht der Fall. Kongenial bedeutet bei diesem Trio: gleichwertig. Oliver Steidle ist kein beschwingender Groove Schlagzeuger, sondern ein ebenbürtiger Solist.

M. Schumann (Hamburger Feuilleton)

Alles im roten Bereich? Na klar – und in diesem Fall sehr gut so, denn “Der Rote Bereich” funktioniert erst dank überbordender Spielfreude und Arrangements, die irgendwo zwischen virtuosem Wagnis und musikalischer Anarchie liegen. Gut auch, dass die Drei nach sechs Jahren Platten-Pause mit dem neuen Material des Albums “7” im Sauschdall die Bühne enterten. Und im Festungsgemäuer herrschte an diesem Abend, nachdem tags zuvor noch DJane Marcelle für angesagte Metropolen-Beats gesorgt hatte, echtes Jazzkeller-Feeling mit geradezu nostalgischem Flair.

Allerdings galt das keineswegs für den Hörspaß, den die Berliner Franken-Connection hier anbot – mal mit tierischem Ernst, mal mit spitzbübischem Lächeln. Das klang stets frisch, mitreißend, verblüffend verdreht sowieso. Metrische Leckerbissen, rhythmische Kopfarbeit, Unisono-Wahnsinn. Nur ganz selten wurde der Bereich dank der angeschlagenen Tempi so rot, dass ein wenig Schlampigkeit zum genialen Spiel hinzu kam. Das allerdings waren ob des gebotenen Konzentrats nicht mehr als Petitessen.

Großartig, wie Oliver Bernd Steidle zwischen quirligem Modern Jazz und nach vorne pushendem Drive die Männer am Bühnenrand antrieb – stets für den unruhigen Puls des Gefüges sorgend. Rudi Mahall, Bassklarinettist der Extraklasse, begeisterte mit kantigen Improvisationen, stets den großen Jazz im Hinterkopf, aber auch den Schelm, der gackernd und quiekend sein Instrument auslotete.

Da waren aber auch wunderbaren Melodien, die das Trio auszeichnen. Frank Möbus, Zampano an der Gitarre, unterlegte das eigene Spiel mit Loops, die zum dichten Netz aufgezogen, doch stets durchsichtig klangen. Reife Kompositionen und freigeistige Solo-Attacken summierten sich zum großen Ganzen – ob “Bremser”, so der Titel eines der Stücke, oder Raser, zu stoppen war dieses Trio sowieso nur durch ein defektes Blatt der Klarinette.

Selbst der potenzielle Soundtrack für eine Serienfolge der “Sopranos” klang mehr als überzeugend. Natürlich geriet das Erschießungskommando am Ende geradezu kriminell-sensationell aus dem Ruder und so mancher akustische Querschläger raste durch den Jazzkeller. Die von den Besuchern enthusiastisch eingeforderte Zugabe kam ähnlich schräg und mit heftigem Augenzwinkern daher. Ein kurzweiliges Vergnügen. Am Ende die Gewissheit, dass der Begriff “Berliner Avantgarde” für diesen Sound doch ein wenig zu kurz greift.

Udo Eberl (Südwest Presse)

Das Festival Snow Jazz in Bad Gastein feierte diesen März sein zehnjähriges Jubiläum. Umjubelter Höhepunkt in einer Reihe von ausgezeichneten Konzerten war dieses Jahr das aus Nürnberg stammende und nun in Berlin arbeitende Avantgarde-Ensemble Der Rote Bereich. Mit einem immensen Reichtum an improvisatorischer Kreativität wagt sich das Trio um den Gitarristen FrankMöbus in hoch Komplexe Sphären vor. Auf Basis von polyzentristischen Verläufen scheint DerRote Bereich die Möglichkeiten des Triospiels in jedem Moment neu auszuloten.
Und von eben diesem Forschergeist sind komplett alle zehn Klangerscheinungen des neuen Albums „7“ beseelt. Es ist das erste nach sechs Jahren Pause. Wohl Zeit genug als Trio noch enger zueinander zu finden. Mit Oliver Steidle der im Jahre 2002 eingestiegen ist, hat Der Rote Bereich nun einen Schlagzeuger, der sowohl den frei improvisatorischen Grundgedanken, als auch höchste Präzision ohne Widersprüchlichkeiten miteinander verbinden kann. Und mit welcher traumwandlerischer Sicherheit die drei Musiker hier auf mehreren Ebenen interagieren ist tief beeindruckend: Beim Roten Bereich scheinen alle drei Instrumente die gleiche Gewichtung zu erfahren und sich von konventionellen Zuordnungen zu befreien. Was hier Rhythmus-, und was Melodieinstrument ist, entzieht sich zum Teil der genaueren Definition. Hören ist hier ein aktiver, im besten Fall sinnstiftender Vorgang. In diesem Sinne stellt Der Rote Bereich auf „7“ freie Klangforschung, waghalsige Improvisationen, und vertrackte, sehr groovige Elemente gegenüber. Groove,- und Rhythmuswechsel sind hier nichts Ungewöhnliches. Immer wieder finden sich die Musiker auch zu durchkomponierten, schwindelerregenden, weil so fantastisch gut gespielten Unisono-Passagen zusammen, die den Begriff der ‘Melodie’ wohl zu einem neuen Forschungsgegenstand der Sprachanalyse werden lässt. Eine musikalische Erscheinung scheint hier zudem stets die Nächste zu jagen. Doch das wahrhaft bezaubernde des Albums liegt zu einen im außergewöhnlich guten Zusammenspiel der Musiker, die immer ein ähnliches Ziel zu verfolgen scheinen und der Selbstverständlichkeit mit der hier musikalische Aussagen und Haltungen geäußert werden. Kategorisch nie wirklich greifbar taumelt der Hörer zwischen den einzelnen Fetzen aus Ambient, Free-Jazz, Funk, Rock und was auch immer umher, die sich ganz unbemerkt zu einem neuen großen Ganzen fügen.
Natürlich kann die CD, ganz besonders in diesem (Roten) Bereich das Live-Ereignis nicht annähernd ersetzen. Und glücklich sind die, die das Trio in Gastein Live erleben konnten. Nichts desto Trotz ist Der Rote Bereich auch in diesem Format ein Erlebnis.

Nikolaj Fuchs (Radio Fabrik Freier Rundfunk Salzburg)

Die Szene Berlin ist mächtig angesagt. Und wie es sich für aufregende Städte gehört, sind es auch hier die Exilanten aus der Provinz, die das wilde Gemenge zubereiten, aus dem sich mit energetischen Reaktionen neue Stoffe synthetisieren. Der Rote Bereich um den Gitarristen Frank Möbus ist so eine Energiezone. Sie arbeitet mit Affinitätsbeschleuniger. So kommt jetzt neben den beiden Stamm-Musikern – neben Möbus der Klarinettist Rudi Mahall – auch der dritte Bereichs-Vertreter aus Nürnberg: Er ist fünfundzwanzig Jahre jung, heißt Oliver Bernd Steidle und bedient das Schlagzeug.
Wie schon auf der Vorgänger-CD “Love Me Tender” (siehe Rezension) besticht das risikofreudig offene Triokonzept der Gruppe, die auf einen Bass verzichtet und dafür die Möglichkeiten von Gitarren-Loops nutzt. So bleibt der Kontrast von Rudi Mahalls Bassklarinette mit den angeschrägten Möbus-Gitarrensounds im spröden Bereich. Alle drei schrecken hier ganz und gar nicht vor elegischen Balladenklängen zurück – doch die kommen nicht als Elegien daher: In rauer Prosa werden die Geschichten erzählt, die es nicht nötig haben, hemdsärmlig Gegen-den-Strich-Bürster zu mimen, um unsentimental wahres Gefühl zu zeigen.
Die drei Herren aus dem Land mit der kernigen Aussprache pflegen auch eine Vorliebe für überkandidelt spielerisch Verqueres. Da laufen unterschiedliche Metren gegeneinander, und doch klingt nichts bemüht, quicklebendig tänzelt die Musik, macht mal hüh und hopp oder schlenzt hipp hipp und hott ums Eck. Der Rote Bereich ist mit seinem “Risky Business” mehr denn je das Beste, was dem deutschen Jazz widerfahren konnte.

Thomas Fitterling (Rondo Magazin)

„Wer Kompositionen „Mein Sportheim“ oder „Ich geh’ zur Polizei“ nennt, ist offensichtlich alles andere als bierernst. Und so klingt auch die Musik dieses Trios infernal aus Gitarre (Möbus), Bassklarinette (Rudi Mahall) und Schlagzeug (O. B. Steidle): witzig, schräg und dabei kunstvoll inszeniert. Schon werden die drei Berliner als ‘wichtigste Vertreter des deutschen Avantgarde-Jazz’ gefeiert. Wunderbar, wenn Neues so unangestrengt daherkommt.“

KulturSPIEGEL

Während die andern deutschen Jazzer auf Hochtouren für Jazzwerkstatt werkeln, spielt DER ROTE BEREICH, Dank der Rudi-Mahall-Connection, nun bei Intakt. Mit 7 (Intakt CD 182) zeigt das 1992 in Nürnberg von Mahall und dem Gitarristen Frank Möbus gegründete und anfangs nicht nur deutsche Projekt, dass es nach mehreren Personalwechseln und dem obligatorischen Umzug nach Berlin und letztlich seit 2002 mit Oliver Steidle (anstelle von John Schröder) an den Drums alles andere als ein lokales, geschweige denn ausgebranntes Phänomen ist. Abgesehen von Mahalls gern gespielter ‘Rumba brutal‘ ist Möbus der Ideengeber, auch wenn Mahall ihm als Tonangeber nicht nachsteht. Mit seiner Bassklarinettenakrobatik zeigt er große Sprünge und unberechenbare Kapriolen, die nach allen Dolphyvergleichen längst einzig das Gütesiegel ‘mahallesk‘ verdienen. Möbus zupft dazu cool bis in die Fingerspitzen vertrackte Figuren, die darauf zu bestehen scheinen, dass Postbop ohne Sophistication keinen Sinn macht, Musik ohne Abenteuer des Gefühls und der Gedanken aber auch nicht. ‘Paulie and Christopher (out in the woods)‘ gibt sich besonnen, bevor sich Stakkatos, knickebeinige Hüpfer und schnelle Läufe häufen. Steidle ist ein As, was dynamisch-rhythmische Flexibilität angeht. Sehr differenziert, aber für alles zu haben. Bei ‘Tier/bla/tot‘ spielt Möbus eine (ungenannte) Hammond zum Hallali, oder spinn ich? ‘Winterlos‘ gurgelt kurz im Ausguss des Jahreskreises, ‘Bremser‘ löst sich von seiner stoßweisen Disziplin, mit unterschiedlichen Reaktionen auf den jungen Wein, der eine animiert, der andere zeitlupig, bis es doch wieder synchron und flott voran geht, auch wenn man nun die Gitarre doppelt hört.’ASH‘ ist danach verkatert und heiser, der Kopf schrillt, die Gitarre tastet sich nur zaghaft in den Tag hinein. Die ohrwurmige Rumba ist eher kess als brutal und als Tanz ein unmögliches Ding. Schrille Kakophonie versetzt einen bei ‘Banker‘s burning bakeries‘ in Alarmbereitschaft, Steidle probt den Aufstand, die Gitarre grillt einen Jazzsnob genüsslich am Spieß. Danach rocken ‘Die Deutschen‘, Mahall stapelt hoch und tief, Möbus doppelt ihn, wenn er nicht sture Riffs repetiert. Zuletzt, ‘Ramallah‘, gitarrenelegisch, die Klarinette von Weh und Ach verzerrt, die Drums nur ein Rasseln wie in Ketten oder ein Kratzen. Mahall fiept, Möbus röstet auf kleiner Flamme. Ein gewagter, beklemmender Abschluss eines starken Statements, das mehr will und mehr leistet, als nur gut zu unterhalten.
Rigobert Dittmann (Bad Alchemy)